Wie Schüler der Eickhof-Schule lernen, mit Problemen fertig zu werden
Kreis Herford. Nein, rückwärts will Kevin nicht rutschen. „Ich bin doch nicht lebensmüde“, sagt er. Steigt in seinen Kajak und rattert die Schräge hinunter ins kalte Wasser der Werre. Für Ömer ist die Rückwärtsrutsche kein Problem. Beide Jungen sind Schüler der Eickhof-Schule, der Förderschule des Kreises für soziale und emotionale Entwicklung. Die Kajakfahrt auf der Werre in Herford ist Teil ihres Unterrichts.
Früher nannte man solche Kinder „schwer erziehbar“. Heute weiß man, dass ihnen vor allem eines fehlt: Vertrauen – in sich und in andere. Ihnen zu zeigen, wie sich das anfühlt, Vertrauen haben zu können und vertrauen zu können, will ihnen Ingo Greger zeigen. Er ist seit vielen Jahren Lehrer an der Eickhof-Schule. „Diese Kinder sind geprägt von jahrelangen Misserfolgserlebissen“, sagt er.
Immer wieder scheiterten sie an den kleinen und großen Dingen des Lebens, immer wieder wurde ihnen bedeutet, dass sie nichts können. „Sehen sie sich Justin an“, sagt Greger, „er hat einen Intelligenzquotienten von 130.“ Justin, ein farbiger Junge, steht mit seinem Kajak auf der Rutsche und lacht. Das Wasser tropft ihm von seinem Neoprenanzug. „Manchmal denke ich, dieser Junge müsste doch in eine andere Klasse“, sagt Greger. Aber Justins Mutter meint, der Jungen müsse noch mehr lernen.
Der Lehrer weiß, dass sie recht hat. Drei Jahre haben die Schüler Kajak-, Kletter- und Segelunterricht. Dazwischen sind nur wenige klassische Schulstunden. Nach den drei Jahren kommen sie in eine normale Klasse, die im Stoff viel weiter ist als sie – und holen das Fehlende oft innerhalb weniger Monate auf. „Sie haben in den drei Jahren gelernt, sich Aufgaben zu stellen, Probleme zu lösen und anderen zu helfen, aber auch, sich helfen zu lassen“, sagt Greger.
Dabei gehen Kinder und Lehrer oft einen harten Weg. Habib ist sauer. Klassenkameraden sind ihm zu nahe gekommen, er wusste sich nicht recht zu wehren. Habib will nicht mehr Kajak fahren. „Dann musst du eben zu Fuß nach Schweicheln gehen“, sagt Greger in aller Ruhe. Der Junge protestiert, seine Mitschüler rufen ihn.
Irgendwann setzt er sich in sein Boot und gleitet mit ihm in die Werre. Habib weiß, dass Greger Ernst gemacht hätte. Habib wäre mit seinem Boot auf der Schulter bis Schweicheln gelaufen, darauf kann er bei seinem Lehrer verlassen. Aber auch darauf: „Herr Greger, helfen Sie mir?
aus der NW vom 24.04.2009 VON THOMAS DOHNA